Woody Guthrie: 100. Geburtstag der Folk-Legende (2024)

Ein halbes Jahrhundert später ist sein berühmtester Song längst zur inoffiziellen Hymne der USA avanciert: "This Land Is Your Land" wird von den ultrakonservativen Mitgliedern der Tea Party angestimmt, wenn sie sich zu ihren Versammlungen treffen. Und es wurde - von Bruce Springsteen und Guthries langjährigem Weggefährten Pete Seeger - bei der Inauguration Barack Obamas als US-Präsident gespielt.

Umgeschrieben bis zum Mainstream-Hit

Während die Linken zu Recht den Rechten vorwerfen, Guthries linksliberalen Hintergrund zu unterschlagen, entgeht ihnen freilich der Umstand, dass der Barde den Song - entstanden als spontane allergische Reaktion auf Irving Berlins Hymne "God Bless America" - selbst so lange umschrieb, bis er für den Mainstream erträglich war. 1940 geschrieben, 1944 aufgenommen und 1945 veröffentlicht, verlor der Text immer mehr von seinem explizit kommunistischen Inhalt. So verzichtete Guthrie beispielsweise auf eine Strophe, die sich gegen Privateigentum richtete: "There was a big high wall there that tried to stop me / Sign was painted, it said private property / But on the back side it didn't say nothing / This land was made for you and me". Sein Sohn Arlo Guthrie erzählt gern, wie ihm sein Vater diese und andere Strophen beibrachte: "Er wollte, dass ich lernte, wie er dieses Lied einmal gemeint hatte."

Tatsächlich ist Woody Guthrie als Künstler und Persönlichkeit vielschichtiger, als die Legende Woody Guthrie vermuten lässt. Geboren wird er am 14. Juli 1912 in Okemah, Oklahoma, in eine wohlhabende Familie. Zu Ehren des demokratischen Politikers und späteren Präsidenten taufen ihn seine Eltern auf den Namen Woodrow Wilson Guthrie.

Zunächst ist der Vater als Immobilienspekulant erfolgreich, die Wirtschaftskrise aber kostet ihn sein Vermögen. Die Mutter wird in die Psychiatrie eingewiesen, als Woody 14 Jahre alt ist. Sie leidet, wie sich herausstellen sollte, an Chorea Huntington (Veitstanz), einer erblichen Hirnerkrankung, die später auch ihrem Sohn zum Verhängnis wird. Die Familie zieht nach Texas, Woody verlässt nach nur vier Jahren die Schule und bildet sich in der örtlichen Bibliothek lieber selbst weiter.

Kaum hat er früh - mit 19 Jahren - geheiratet, als die USA von der Großen Depression heimgesucht werden. Zur wirtschaftlichen Katastrophe gesellt sich eine Umweltdesaster: Der Mittlere Westen wird unter erosionsbedingten Sandstürmen begraben, die alles Leben zum Erliegen bringen. Guthrie folgt dem Treck der wirtschaftsflüchtigen "Okies" nach Kalifornien. Er singt über ihre Sorgen, fasst ihre stolze Ohnmacht in Worte, und so wird, was er singt, zu ihren eigenen Liedern.

Nicht Unterhaltung, sondern Wahrheit

Mit seinen "Dust Bowl Ballads" verewigt Guthrie diese dunkle Ära, wie sein literarisches Pendant John Steinbeck ihr mit "Früchte des Zorns" ein literarisches Denkmal setzt. Steinbeck über Guthrie: "Mit seiner rauen und nasalen Stimme, seiner wie ein Montierhebel an einer rostigen Felge hängenden Gitarre ist überhaupt nichts nett an Woody, und es ist auch nichts Nettes in den Songs, die er singt. Wer ihm zuhört, entdeckt aber etwas Wichtigeres. Da ist der Wille der Menschen, durchzuhalten und gegen Unterdrückung zu kämpfen. Ich glaube, das kann man den amerikanischen Geist nennen."

Guthrie selbst fasst sich kürzer: "Ein Folksong handelt von Problemen und wie man sie löst." In diesem Sinne fügt er einer reichen Tradition überlieferter amerikanischer Volksmusiken - vom Blues bis zu den Liedern der Appalachen - neue, lebendige Klassiker hinzu. Ästhetisch ist das kein Hochgenuss, wie sein Biograf Joe Klein anmerkt: "Seine Songs zu hören ist wie in eine Zitrone zu beißen." Nicht Unterhaltung ist sein Ziel, sondern die Wahrheit - weshalb er sich auch nie als Intellektueller sieht, sondern immer als Sohn der Arbeiterklasse mit proletarischem Standesbewusstsein inszeniert.

Dennoch verdingt er sich als Unterhalter beim Radiosender KFVD in Los Angeles. In der Sendung "Woody and Lefty Lou" gibt Guthrie den singenden Cowboy, kultiviert einen ausgeprägten Hillbilly-Akzent - und knüpft in der Stadt erste Kontakte mit der kommunistischen Partei. Zwar tritt er ihr nie bei, schreibt aber Kolumnen für ihre offizielle Zeitung und findet auf diese Weise sowohl seine Stimme als auch seine politische Bestimmung: die Sache der Arbeiterklasse, die Kluft zwischen Arm und Reich, der Kampf gegen Ausbeutung und Diskriminierung.

Manche Zitate aus jener Zeit klingen heute aktueller denn je. Urheberrecht? "Dieser Song ist in den USA (…) für eine Dauer von 28 Jahren urheberrechtlich geschützt und jeder, der dabei erwischt wird, wie er ihn ohne unsere Zustimmung singt, ist unser allerbester Freund, weil es uns herzlich egal ist. Veröffentlichen Sie ihn! Singen Sie ihn! Swingen Sie zu ihm! Jodeln Sie ihn! Wir haben ihn geschrieben, mehr wollten wir nicht."

Immer rund um Hitlers Grab

Wird Sympathie mit dem Kommunismus zu Kriegsbeginn immerhin noch toleriert, ist sie 1940 mit Unterzeichnung des Hitler-Stalin-Paktes plötzlich nicht mehr genehm. Der Stalinist Guthrie verliert seinen Job - und geht auf Einladung seines Freundes und politischen Mentors Will Greer (nicht zu fassen, aber: ja, der Mann spielte den Opa aus der US-Serie "Die Waltons") nach New York. Und dort, in der linksintellektuellen Künstlerszene von Greenwich Village, geht seine Karriere durch die Decke. In der Szene begegnet er Pete Seeger, John Steinbeck, Leadbelly. Und Alan Lomax. Der junge Musikforscher arbeitet als Songjäger für das Klangarchiv der Kongressbibliothek und ist sehr an authentischer "Okie"-Musik interessiert.

Lomax ermuntert Guthrie, seine "Dust Bowl Ballads" zu veröffentlichen und eine idealisierte Biografie zu schreiben: "Bound for Glory" (deutscher Titel: "Dies Land ist mein Land") sollte ein Beatnik-Klassiker werden und später den jungen Bob Dylan erst auf Guthrie aufmerksam machen. Für kurze Zeit moderiert und musiziert er sogar eine eigenen Radiosendung bei CBS: "Pipe Smoke Time" wurde von einem Tabakkonzern finanziert, der sich den kommenden Star mal eben eingekauft hatte. In Briefen an Alan Lomax beklagt Guthrie sich dann auch über "die Restriktionen, die Zensur".

Im Sommer 1941 überfällt Deutschland die Sowjetunion, und Guthrie kann wieder, wie er will. Mit Pete Seegers Polit-Folk-Kommune The Almanac Singers singt er Lieder erst gegen, dann ohne und schließlich ganz patriotisch für den Krieg, Songs wie "Round and Round Hitler’s Grave" oder den Hit "Reuben James", über ein von deutschen U-Booten versenktes Kriegsschiff.

Zu jener Zeit schreibt sich Guthrie erstmals den schönen Satz "This Machine Kills Fascists" auf die Gitarre. Ein wuchtiger Spruch, den er auch nach dem Krieg beibehält und der zu seinem Markenzeichen wird. Persönliche Reibereien mit dem nicht unkomplizierten Guthrie und die Aufmerksamkeit des FBI führen zur Auflösung der linken Gruppe um Guthrie und Seeger.

Vom Kommunisten zum Nationalheiligtum

Im Frühjahr 1943 wird Guthrie als Matrose bei der Handelsmarine eingezogen und kreuzt auf der gefährlichen Nordatlantikroute, zum Einsatz als GI bei der Army kommt es nicht mehr. Nach dem Krieg kehrt er nach New York zurück, nimmt weiter für Lomax auf und schreibt weiter Songs. Viel Zeit bleibt ihm nicht mehr. Die Arbeit an einem neuen Roman scheitert immer wieder an Konzentrationsschwäche - es sind die ersten Anzeichen der Krankheit, bis zur Diagnose vergehen noch ein paar Jahre. Behandelt wird er wegen Alkoholismus und Schizophrenie, und wahrscheinlich will er selbst nicht wahrhaben, dass es sich um Chorea Huntington handelt. Erst 1952 wird die Krankheit erkannt, im Frühjahr 1956 wird er - zur Gefahr für sich selbst und andere geworden - zwangsweise ins Greystone Hospital eingewiesen.

Dort sollten ihn in den langen Jahren bis zu seinem Tod am 3. Oktober 1967 neben Dylan noch weitere aufstrebende Newcomer besuchen. Zeitgenossen wie Joan Baez oder Phil Ochs, die seine Songs am Leben hielten, seinen Ruhm mehrten und damit das Fundament für die Legende legten.

Nach einer aktuellen Zählung soll Guthrie insgesamt genau 3001 Songs, Texte und Fragmente hinterlassen haben. Eine irgendwie märchenhafte Zahl, die zur seiner märchenhaften Verwandlung passt - vom engagierten Künstler in ein Nationalheiligtum, vergleichbar nur mit den Parks von "Yellowstone oder Yosemite", wie ein Kritiker schrieb. Bruce Springsteen, John Mellencamp, Jeff Tweedy von Wilco, Willie Nelson, Billy Bragg, Steve Earle, Bono von U2 oder Joe Strummer von The Clash, um nur einige wenige zu nennen - Woody Guthrie ist der Riese, auf dessen schmächtigen Schultern all diese Musiker stehen. An diesem Samstag ist sein 100. Geburtstag.